1994 saßen wir zum ersten Mal auf einem MTB. Ungefährt zur gleichen Zeit kaufte mein Onkel eine Hütte in Sixt in den französischen Alpen. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis Andy und ich das erste Mal mit den Bikes in die Alpen gefahren sind – natürlich nach Sixt. 2001 war das noch eine harte Nummer: Stahlrahmen & Cantileverbremsen. Andy mit einem Starrbike, ich mit 80mm Judy TT Elastomerfederweg. Wir haben ganz schön gelitten, aber sofort Blut geleckt. Seitdem sind die immer wiederkehrenden Ausfahrten in die Alpen der Höhepunkt der Bikesaison.

Zu unserem 20-jährigen Trailjubiläum hatten wir uns dieses Jahr entschlossen, wieder zu den Ursprüngen zurückzukehren und im Sommer erneut ins Grand Massif zu fahren, um die Trails um Chamonix unsicher zu machen. Nachdem es fast so aussieht, als könnte uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung machen, tut sich Mitte August endlich ein viertägiges Schönwetterfenster auf – und so packen wir Freitag das Auto und sind pünktlich zum Feierabendstau mit Jever Fun auf der A5 – Richtung Süden.

Erst nach Mitternacht erreichen wir Sixt. Zum Glück steht Samstag nur eine kleine Runde zum Einrollen auf dem Programm. Wir sparen uns die ersten 500hm und nehmen den Sessellift, pedalieren von der Bergstation noch ein wenig höher und steigen dann zum Refuge du Grenairon auf. Unmittelbar oberhalb der Baumgrenze sind die Trails extrem „gras“ – fettig, wie der Franzose sagt, und unsere Räder setzten sich brutal zu.

Des ist Material

Trotzdem gehen wir weiter und werden schlussendlich belohnt. Unmittelbar nach der Hütte sehen wir Steinböcke aus 30 Meter Entfernung. Da es schon spät ist, entschließen wir uns umzudrehen – der Gipfel ist sowieso außer Reichweite und bergab wartet 1A-Material.

Abfahrt oberhalb des Regfuge du Grenairon

Zuerst wechseln sich flowige Sektionen immer wieder mit verblockten Abschnitten ab, dann folgt die „fettige“ Passage – bergab zwar etwas weniger beschwerlich, aber immer noch kein Genuss. Zum Abschluss dann 800hm feinster Singletrail gewürzt mit einigen Schwierigkeiten. Vieles fahrbar, manches nicht – der Trail ist ausgesetzt. Dennoch laufen viele Passagen, über die wir beim Aufstieg debattiert haben, einfach von der Hand. Ein geiles Ding. Bei Claudine nehmen wir noch ein Bierchen, dann geht’s in die Hütte zum Carboloading.

Sonntag startet dann der Main Event. Eine dreitägige Hüttentour durchs Reserve Naturelle Nationale de Sixt-Passy. Und so sind wir auch überpünktlich um 9 Uhr zur Liftöffnung in Samoëns. Da der eigentliche Ausgangspunkt unserer Tour Les Grandes Platières ist, beginnt auch der zweite Tag in der Gondel. Von der Bergstation auf 2600 Metern sehen wir dann zum ersten Mal das Dach unserer Tour: den Mont Buet – komplett schneebedeckt. Wir rechnen beide damit, dass wir den Gipfel wohl streichen müssen… Aber für diesen Gedanken bleibt wenig Zeit. Wir steigen ein bis zwei Stunden durch eine unwirkliche, zerklüftete Karstlandschaft ab – überragt vom gewaltigen Mont Blanc Massif. Langsam wird immer mehr fahrbar bis wir an die Abbruchkante des Hochplateaus kommen.

Ein abenteuerlicher Weg der keinen Raum für Fehler lässt, führt durch eine senkrechte Wand. Nach ca. 200hm legen wir Protektoren an und beginnen wieder zu fahren. Der Weg verlangt uns einiges ab, ist aber gut machbar. Es ist brilliantes Wetter und viele Leute sind unterwegs – wir unterbrechen unseren Abfahrtsrausch immer wieder und gewähren Wanderern den Vortritt. Die Franzosen sind durchweg begeistert und feiern uns. Negative Kommentare? Fehlanzeige. Nach unzähligen Spitzkehren spuckt uns der Trail urplötzlich wieder aus. Jetzt beginnt der Anstieg zu unserem Nachtquartier. 800hm Asphalt und Schotterpiste bringen uns zurück auf 2000 Meter. Erst zügig fahrend, dann immer langsamer werdend erreichen wir die Hütte. Die Aussicht auf den Mont Blanc ist atemberaubend, das Käsefondue schmeckt, der Wein ebenso und um 22 Uhr gehen bei uns die Lichter aus. Morgen haben wir einiges vor.

Das Frühstück fällt französisch aus. Ebenso das Lunchpaket. Chips im Jausensackerl? Egal. 7.30 Uhr sind wir auf dem Trail. Immer Richtung Mont Buet. Der Hüttenwart konnte uns gestern nur wenig Hoffnung machen wegen der Schneesituation, aber wir wollen dennoch unser Glück probieren. Zuerst fahren wir ab in ein langgezogenes Hochtal. Im Morgenlicht fliegen wir über saftige grüne Wiesen vorbei an unzähligen Wasserfällen. Niemand ist unterwegs. Wir haben das Tal für uns.

Einige flowige Passagen am frühen Morgen

An der Talsohle beginnt der Aufstieg. Bergan ist hier für uns nichts fahrbar. Wir schieben, tragen, und sind uns sicher, dass das auch bergab eine harte Nummer wird.

Gegen 10.30 Uhr sind wir wieder im Steinbockrevier: In einem höher gelegenen, felsigen Seitental steigen wir immer weiter bis auf 2700m. Von der Passhöhe erkennen wir zum ersten Mal den Mont Buet. Der Südhang des Gipfels ist im Wesentlichen schneefrei. Geilon. Aber es ist 12 Uhr – wir rechnen mit weiteren drei Stunden bis zum Gipfel. Wir debattieren, ob wir weiter gehen sollen. Ich bin schon gut am Ende. Die letzten Tage haben Kraft gekostet, aber nach sorgfältigem Abwägen entschließen wir uns dafür. So mobilisieren wir beide neue Kräfte und erreichen den 3099 Meter hohen Gipfel. Die Stimmung ist so bombig wie das Panorama und das Wetter. Schneebedeckte Gipfel auf der einen Seite, auf der anderen Seite grüne Täler und der Genfer See. Schon jetzt ist klar – das ist eine geile Tour. Und bis hierhin sieht die Bilanz so aus, dass 5 Stunden Schieben und Tragen 30 Minuten Einrollen im Hochtal gegenüberstehen.

Der steile Aufsteig zum Gipfel

Beim Gipfelanstieg sind wir viel schneller vorangekommen als erwartet. Bereits gegen 13 Uhr machen wir uns an den Rückweg und nach einer Vesperpause an einer windgeschützten Stelle lassen wir endlich die Dämpfer frei. Der Steig ist steil. Extrem steil, aber Fels und Schutt sind sehr griffig.

And down it goes

So hat man auch in diesem Gelände volle Kontrolle und das Meiste bleibt fahrbar. Wir fahren ab wie im Rausch. Wir stoppen kaum. Wir genießen die Aussicht und den Flow. Bald sind wir zurück an der Passhöhe und nehmen den verblockten Trail hinunter ins Hochtal in Angriff.

Endloser Flow bis zum Talboden

Anders als erwartet müssen wir kaum absteigen und sind schon bald an der Talsohle. Es ist 15 Uhr und es gibt Chips. Was für ein Tag. Ich bin völlig am Ende, aber die Stunde Aufstieg zurück zur Hütte ist auch noch drin. Das Abendessen schmeckt nochmal besser, es gibt mehr Bier als am Vorabend und um 22 Uhr reden wir noch immer über den heutigen Gipfeltag.

Perfekter Abschlusstrail

Nachts geht ein heftiges Gewitter nieder über dem Refuge de Moëde Anterne und auch während des Frühstücks regnet es noch. Wir rüsten uns für schlechtes Wetter auf unserer letzten Etappe, aber sobald wir aufbrechen, lässt der Regen nach. Heute stehen nur 2 Stunden Aufstieg an – tragenderweise. Dann rollen wir von 2200 Metern auf einem nicht enden wollenden Trail zurück zum Ausgangsort. Der Himmel ist grau, der gestrige Gipfel von Wolken verdeckt. Dafür wird heute ein Maximum an Flow geboten. Butterweiche, erdige Trails laden zum ersten Mal dazu ein, es richtig krachen zu lassen. Und so fliegen wir am Lac d’Anterne vorbei hinunter zum Cirque des Fonds. Bei Claudine gibt es heute kein Bier. Es ist noch früh am Morgen. Das Abenteuer ist vorbei. Wir müssen wieder auf die A5 – Richtung Norden.